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Gibt es die Berufung (überhaupt)?

«Mein Beruf soll mich glücklich machen, mir Erfüllung bringen und ich möchte jeden Morgen mit Freude meine Arbeit angehen». Oft werden Beratungspersonen mit diesen Wünschen, Vorstellungen und Erwartungen in einem Beratungsgespräch bei der Beruf-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) konfrontiert. So wie in der Liebe suchen viele Menschen nach dem einen Beruf in dem sie aufgehen, ihre Interessen und Stärken einbringen können und Zufriedenheit erleben. Doch gibt es diese sogenannte Berufung überhaupt?

Noemi Marti, Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin Pfäffikon (mit Unterstützung von ChatGPT)

41% der Schweizer Bevölkerung sind mit den Arbeitsbedingungen sehr hoch und 30% hoch zufrieden, dies zeigt eine Umfrage des Bundesamts für Statistik (2021). Trotzdem scheint es viele Menschen zu beschäftigen, ob es die Berufung im Job gibt.
Ist es möglich, einen Beruf auszuüben, der nicht nur den Lebensunterhalt sichert, sondern auch Erfüllung und Zufriedenheit bringt? Gibt es tatsächlich für uns alle eine Berufung, bei der wir dazu bestimmt sind, ganz und gar unseren entsprechenden Tätigkeiten nachzugehen?

Die Berufung im Beruf
Der Begriff «Berufung» stammt aus dem lateinischen «vocatio» (= «Ruf» oder «Berufung»). Er wird oft verwendet, um im religiösen Kontext die göttliche Berufung von Personen zu beschreiben – also zu welchen Aufgaben oder welchem Werk sie von Gott berufen wurden. Auch in anderen Kontexten kann der Begriff verwendet werden.

Häufig wird die Berufung auf den Bereich der Arbeit und des Berufes übertragen. Hier bezieht er sich auf das Konzept, dass eine Berufung im Job eine Art Bestimmung ist. Diese führt dazu, dass eine Person einen Beruf ausführt, der für sie bestimmt ist. Menschen sind demnach zu ihren Tätigkeiten berufen und können darin ihre Interessen und Leidenschaften entfalten. Dabei kommen ihre individuellen Fähigkeiten und Talente zur Geltung, sie erleben tägliche Freude und verspüren ein Gefühl der Sinnhaftigkeit. Ob hundertprozentige Erfüllung und Zufriedenheit im Job überhaupt realisierbar sind, bleibt offen.

Die Berufung: Wunsch oder Realität?
Ist die Vorstellung einer Berufung zu einer spezifischen Arbeitstätigkeit eine romantische Idee, die in der Realität kaum umsetzbar ist oder gibt es die Berufung im Job wirklich?
Diese sehr komplexe Fragestellung nach der Existenz einer Berufung ist wohl eine fast philosophische und im Wesentlichen eine persönliche Frage. Sie wird von verschiedenen Menschen unterschiedlich beantwortet.

Die Vorstellung von Berufung ist unter anderem geprägt von individuellen Überzeugungen, Wertvorstellungen, kulturellen Einflüssen und persönlichen Erfahrungen. Die einen sind der festen Überzeugung, dass es eine Berufung gibt. Für sie gibt es einen Zweck oder eine Bestimmung, denen sie im Leben folgen möchten. Tatsächlich gibt es Menschen, die scheinen ihre Berufung gefunden zu haben: sie können ihre Kompetenzen im Job ausleben, blühen auf und erleben eine hohe Arbeitszufriedenheit. Die Berufung ist für diese Menschen real und greifbar.

Andere hingegen stehen dieser romantischen Vorstellung skeptisch gegenüber und argumentieren, dass die Menschen selber ihre Ziele und Träume definieren und Verantwortung dafür übernehmen. Diese werden sozusagen nicht «von aussen» an sie herangetragen, sondern eigenständig definiert.
Zu welcher Gruppe würden Sie sich besinnen? Erleben Sie Ihr aktuelles Arbeitsfeld als Berufung oder eher nicht? Und könnte es womöglich eine Kombination aus der individuellen Entscheidung und einer persönlichen Bestimmung sein?

Berufung in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
Im gemeinsamen Gespräch werden in der BSLB individuelle Fähigkeiten, Interessen, Werte und Ziele besprochen und in Bezug auf die persönlichen Lebensumstände angeschaut. Bei der Suche nach der Berufung können Beratungspersonen die ratsuchenden Personen im Prozess begleiten – sie stellen Fragen, helfen bei der Informationsbeschaffung, wenden Arbeitsmittel und Testverfahren an, versuchen die Selbstreflexion zu fördern, begleiten in Entscheidungssituationen und bei der Definition von möglichen Schritten. Individuelle Beratungen können eine wertvolle Unterstützung im Berufsfindungsprozess sein oder dabei eine bestehende Berufung bestätigen. Manchmal sind auch mehrere Versuche oder sogar Fehlentscheidungen ausschlaggebend, um den eigenen Weg zu finden.

Herausfordernd wird es, wenn Menschen einer bestimmten Vorstellung der Berufung hinterherjagen und eine Überverantwortung für die persönliche Zufriedenheit dem eigenen Beruf abgeben. Wichtig ist es dann, genau hinzuschauen und abzuwägen, wo, wann und wie fest man bereit ist, Kompromisse auf den verschiedenen Ebenen (Vorstellungen, Ziele, Werte) einzugehen.
Was soll beruflich und privat wann wichtig sein und welchen Stellenwert geben wir diesen Dingen? Welche Bedeutung schreiben wir unserer Arbeit insgesamt zu und wie definieren wir uns, wenn nicht das eintrifft, was wir uns vorgestellt haben?

Workism - Die Berufung als zentraler Lebensinhalt
Die moderne Gesellschaft definiert sich über eine übermässige Fixierung auf Arbeit und Karriere, so die Beschreibung des US-amerikanischen Autors Derek Thomspon. Der persönliche Wert eines Menschen wird häufig anhand seines beruflichen Erfolgs gemessen und die Arbeit überbetont.  Dabei werden mögliche Schattenseiten der Idee einer Berufung sichtbar. 

Wenn die Arbeit zum zentralen Lebensinhalt wird und andere Aspekte des Lebens vernachlässigt werden, spricht Thompson von «workism». In einer solchen arbeitszentrierten Kultur streben Menschen nach beruflichem Erfolg und Hingabe an die Arbeit, um ein Gefühl von Bedeutung und Erfüllung zu erlangen. Darin soll Arbeit nicht länger nur einen bestimmten Nutzen bringen, sondern muss immer auch Erfüllung sein. Wird Arbeit zur Identität, ist sie laut den Achtsamkeitsautoren Jan Lenarz und Milena Glimbovski womöglich erfüllender, jedoch gleichzeitig auch gefährlicher. «Ist die Arbeit der Dreh- und Angelpunkt des Selbstwertes, verliert man bei Fehlschlägen oder Kündigung viel mehr als nur den Job. Jeder Misserfolg wird im wahrsten Sinne existenzbedrohend, nicht nur finanziell.», so die Autoren.
In diesem Zusammenhang sind Modebegriffe wie «Burnout» ganz nah und «Work-Life-Balance» ganz bedeutsam. Identitätsstiftendes Leben fand bisher eher im privaten Bereich statt: in sozialen Beziehungen, in ehrenamtlichen Tätigkeiten, in der Freizeit und bei Hobbies. Gegen äussere Umstände sind diese Bereiche in der Regel krisensicherer.

Die Berufung: Hauptverantwortlich für ein erfülltes Leben?
Die zwischenmenschlichen Beziehungen machen die Schweizer Bevölkerung am zufriedensten, dies zeigt die Umfrage des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2021. Das soziale Umfeld, die Menschen die uns umgeben und wie wir miteinander auskommen scheinen einen grossen Anteil unserer Lebenszufriedenheit auszumachen – auch bei der Arbeit.
Der Wunsch und die Suche nach einer Berufung sind weiterhin gross, zudem absolut verständlich und zutiefst menschlich. Wird diese gefunden, umso besser. Dies würde eher dafür sprechen, dass es Berufungen grundsätzlich gibt, es möglich ist, bei der eigenen Arbeit aufzugehen und jeden Morgen gerne dafür aufzustehen. 
Trotzdem scheint es wichtig, die eigene Auffassung zur Arbeit gelegentlich kritisch zu hinterfragen und sich von der Vorstellung zu distanzieren, dass Erfüllung ausschliesslich oder hauptsächlich im Job passieren muss. 

 

Tipps bei «workism»

Klare Grenzen setzen:  fixe Arbeitszeiten festlegen und Zeiten für sich selbst, Freunde/Familie, eigene Freizeit/Hobbies im Kalender blockieren 
Eigene Gesundheit:  ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung (auch dafür fixe Zeitpunkte im Kalender reservieren) 
Klare Ziele und Prioritäten definieren für:  eigene Zeit, Arbeit, Familie, Freunde, Freizeit/Hobbies, … 
Über das Pensum nachdenken:  Reduktion finanziell realistisch? / Übereinstimmung mit den eigenen Werten? 
Üben, «Nein» zu sagen:  anderen gegenüber und auch sich selber
(«nein» zu Perfektionismus und mehr von «gut ist gut genug») 
Rituale schaffen:  Routinen und Rituale erleichtern den Übergang zwischen Arbeit und Freizeit (z.B. einen Spaziergang oder eine bestimmte Handlung, die den Arbeitstag symbolisch abschliesst). 
(Neue) Interessen und Aktivitäten ausserhalb der Arbeit verfolgen:  Was macht mir Freude und gibt mir ein Gefühl der Sinnhaftigkeit?  
Mit Freunden, Familien oder einer Fachperson darüber sprechen:  Eine externe Perspektive kann hilfreich und unterstützend sein. 
Sich ab und zu die Frage stellen:  «Was möchte ich meinen potenziellen Enkeln auf dem Sterbebett von meinem Leben erzählen?» 


Kontakt:
Amt für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung
BIZ Pfäffikon – BIZ Goldau – BIZ Einsiedeln
www.sz.ch/biz

Email: bizNULL@sz.ch | Telefon: 041 819 51 40 | Website: www.sz.ch/biz 

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